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Verantwortung

Verantwortung

Wie alle deutschen Hochschulen war auch die Hamburger Universität in das nationalsozialistische System verstrickt. Nach 1945 wollten viele Deutsche die jüngste Vergangenheit rasch vergessen. So fand zunächst weder in Hamburg, noch an anderen Universitäten eine Auseinandersetzung mit dem Geschehenen statt. Erst die 50jährige Wiederkehr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten veranlasste die Universitätsleitung, die eigene NS-Geschichte umfassend untersuchen zu lassen.

Als eine der ersten Hochschulen stellte sie sich damit ihrer Verantwortung. Angestoßen wurde der Aufarbeitungsprozess von einer neuen Generation. Als Studierende hatten sie Ende der 1960er Jahre den Umgang mit der NS-Zeit und die Rolle ihrer Professoren hinterfragt. Damit bereiteten sie den Weg zu einer überfälligen Erinnerungskultur.

Schweigen über die Vergangenheit

Noch bis in die 1960er Jahre prägte eine Generation von Professoren den Umgang mit der Vergangenheit, von der nicht wenige ihre beruflichen Karrieren in der NS-Zeit begonnen hatten. Von den einst vertriebenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen waren nur wenige zurückgekommen. Rasch rehabilitiert wurden hingegen in der Nachkriegszeit NS-belastete und zunächst suspendierte Hochschullehrer. Einer der wenigen, die sich öffentlich gegen diese Praxis wandten, war der Hamburger Medizinprofessor Rudolf Degkwitz. Als er 1948 eine radikale Entnazifizierung forderte, blieb sein Anliegen ungehört.
Studierende umrahmen die Gedenktafel für die Hamburger Weiße Rose mit roten Nelken, 1971
HStA; Bestand Conti-Press
Studierende umrahmen die Gedenktafel mit roten Nelken, 1971

Die Universität erarbeitet ihre Geschichte

Das Hamburger Forschungsprojekt zur Geschichte der Universität im Nationalsozialismus band alle Fachbereiche ein. Mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Universität untersuchten die Geschichte ihrer Disziplinen und zeichneten ein differenziertes Bild des Hochschulalltags im „Dritten Reich“. 1991 wurde das Ergebnis, ein über 1500 Seiten starkes Werk, zusammen mit einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Aus dem Projekt resultierten auch die Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, eine Schriftenreihe und die Hörsaalbenennungen nach vertriebenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Die „erste nationalsozialistische Hochschule Deutschlands“

Der Nationalsozialismus veränderte die Hamburger Universität tiefgreifend, ohne dass sich dagegen nennenswerter Widerstand regte. So wurde die Selbstverwaltung der Universität zugunsten des Führerprinzips ersetzt und die Universität präsentierte sich als „erste nationalsozialistische Hochschule Deutschlands“. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ konnten über 90 Universitätsangehörige, darunter prominente Gelehrte, aus „rassischen“ oder politischen Gründen entlassen werden. Bisher bedeutende Forschungszweige verloren so ihr Gewicht. Stattdessen entstanden neue politisch begründete Lehrgebiete wie Rassenbiologie oder Wehrwissenschaft.

Gegen die Rehabilitierung von Nationalsozialisten

Der Mediziner Rudolf Degkwitz verkündete mit diesem Brief seinen Rücktritt als Professor und Klinikdirektor. Er protestierte damit gegen die ausbleibende Entnazifizierung der Universität. Er selbst war 1944 von den Nationalsozialisten wegen „Wehrkraftzersetzung“ angeklagt worden.
Protestbrief von Professor Rudolf Degkwitz gegen die Ausbleibende Entnazifizierung an der Universität, 1948.
Universität Hamburg, HStA, Universitätsarchiv, 361-6_IV 166
Protestbrief von Prof. R. Degkwitz gegen die Ausbleibende Entnazifizierung, an den Hohen Senat der Hamburger Universität, 1948.

Die Haltung der Universität

Universität und Hochschulbehörde diskutierten über eine angemessene Reaktion auf Degkwitzʼ Brief. Dieser hatte öffentliche Aufregung verursacht, da die Presse unter dem Titel „Rücktritt aus Prinzipien“ darüber berichtet hatte. Zuletzt beschränkte sich die Universitätsleitung auf diesen persönlichen Brief, um sich von Degkwitz zu distanzieren.
In der Ausstellung: Antwortschreiben des Rektors der Universität an Prof. R. Degkwitz, Faksimile
Professor Degkwitz begründet seine Auswanderung. Zeitungsausschnitt vom 24. Juni 1948.
Universität Hamburg, Universitätsarchiv, HStA 361-6 IV 166
Professor Degkwitz begründet seine Auswanderung. Zeitungsausschnitt aus „Die Welt“ 24. Juni 1948

Fehlende Auseinandersetzung

Noch 1969 wurde die Zeit des Nationalsozialismus von der Universität weitgehend ausgeblendet. In einem Jubiläumsband wurden die wahren Gründe der Entlassungen 1933 verschleiert. Hochschullehrer wie William Stern gingen keineswegs in den „Ruhestand“, sondern mussten die Hochschule wegen ihrer jüdischen Herkunft verlassen.
In der Ausstellung: Universität Hamburg 1919 – 1969
In der Ausstellung: Brief William Sterns an die Hochschulleitung, 27.4.1933, Faksimile

Studierende treffen einen wunden Punkt

Der AStA (Allgemeiner Studentenausschuss) der Universität publizierte 1969 eine Gegenschrift zur offiziellen Festschrift der Universität. In ihren Beiträgen thematisierten die Studierenden auch die nationalsozialistische Vergangenheit der Hochschule und forderten die noch ausstehende Auseinandersetzung mit dieser Zeit ein.
In der Ausstellung: Das permanente Kolonialinstitut. 50 Jahre Hamburger Universität, 1969
Gegenschrift des ASTAs von 1969 thematisiert die nationalsozialisitische Vergangenheit der Universität
Universität Hamburg, Zentralstelle für wissenschaftliche Sammlungen. S. 139- 153
Nationalsozialistische Studentenbewegung und Widerstand im Dritten Reich an der Hamburger Universität, aus: Das permanente Kolonialinstitut. 50 Jahre Hamburger Universität, 1969

Erforschung der NS-Geschichte

Von der Stadt und Hochschulleitung 1982 angeregt, erforschten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg fast neun Jahre lang die Geschichte ihrer Universität zwischen 1933 bis 1945. Dieses Projekt war Auftakt und Grundlage für zahlreiche weitere Studien zur Universitätsgeschichte im „Dritten Reich“.
In der Ausstellung: Eckart Krause, u.a. Hg., Hochschulalltag im „Dritten Reich“, Band 1–3, 1991

Enge Zeit

Die Forschungsergebnisse zur Universität im Nationalsozialismus wurden nicht nur in Buchform dem Publikum vorgestellt. Sie fanden eine visuelle Umsetzung in der Ausstellung ENGE ZEIT, die 1991 im Audimax der Universität eröffnet wurde. In ihrem Zentrum standen die Vertriebenen und Verfolgten der Universität.
Angela Bottin, ENGE ZEIT, Ausstellungskatalog
Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Foto: Plessing/Scheiblich
Angela Bottin, ENGE ZEIT, Ausstellungskatalog, 1991

Eine eigene Publikationsreihe für Wissenschaftsgeschichte

Die geplante Publikation zur NS-Geschichte der Universität führte 1986 zur Gründung einer universitätseigenen wissenschaftlichen Reihe. Betreut von der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, sind bis 2019 26 Bände erschienen, die thematisch weit über die Zeit des Nationalsozialismus hinausreichen.
In der Ausstellung: Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte, 26 Bände, 1986 – 2019

Der Öffentlichkeit übergeben

Mit der Ausstellungseröffnung wurden auch die drei Bände „Hochschulalltag im ‘Dritten Reich’“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Festredner des Ereignisses waren u.a. der Soziologe Lord Ralf Dahrendorf aus Oxford und Hamburgs Zweiter Bürgermeister Ingo von Münch.
In der Ausstellung: Eröffnung Ausstellung Enge Zeit, Festredner Ingo von Münch, 1991; Eckart Krause präsentiert die Bände „Hochschulalltag im ‘Dritten Reich’“, 1991

Eine Dramatische Inszenierung

Die 102 übermannsgroßen Metallsäulen, die die Exponate der Ausstellung ENGE ZEIT trugen, standen dicht auf der Empore des abgedunkelten Audimax und erinnerten an eine marschierende Kolonne. Eine passende Tonkulisse aus Marschgeräuschen und die eine Wellenbewegung simulierende Beleuchtung verstärkten den Eindruck.
In der Ausstellung: Blick in die Ausstellung ENGE ZEIT, 1991

Eine Gedenktafel für die „Hamburger Weisse Rose“

Initiiert vom Allgemeinen Studentenausschuss öffnete sich die Universität 1971 erstmals der Erinnerung an die Jahre 1933 bis 1945. Im Audimax wurde eine Tafel in den Boden eingelassen, die bis heute an Hamburger Studierende erinnert, die Opfer des NS-Regimes wurden. Sie widersetzen sich dem NS-Staat und standen der Münchner Weißen Rose nahe.
In der Ausstellung: Studierende umrahmen die Gedenktafel mit roten Nelken, 1971

Studierende machen Druck

Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, seit 1931 im AStA mit knapp 40 % die stärkste politische Gruppierung, war 1933 eine treibende Kraft bei der Gleichschaltung der Universität. So forderte der NSDStB den Ausschluss jüdischer Hochschullehrer. Die Universität nötigte diese darauf zum Verzicht auf ihre Lehrveranstaltungen.
In der Ausstellung: Brief des Hochschulgruppenführers des NSDStB an Senator F. Ofterdinger, 12.4.1933, Faksimile

Umbau der Universität

Als Rektor trieb Adolf Rein zwischen 1934 und 1938 den Umbau der Universität voran. Alle seine Vorstellungen konnte der Professor für Kolonialgeschichte jedoch wegen interner Rivalitäten nicht umsetzen. So scheiterte er mit seinem „Politischen Kolleg“, in dem er die politische Schulung zusammen mit NS-Organisationen koordinieren wollte.
In der Ausstellung: Organigramm zum Aufbau eines „Politischen Kollegs“ von A. Rein, 1933
Zeitungsausschnitt über die Ernennung Adolf Reins zum Leiter des Hochschulwesens, 1933
Universität Hamburg, Universitätsarchiv, HStA 361-6 IV 1161, Bd2, Beiakte 5, 6
Zeitungsausschnitt über die Ernennung Adolf Reins zum Leiter des Hochschulwesens bei der Landesunterrichtsbehörde; Hamburger Nachrichten 20.6.1933

Die Idee der „Politischen Universität“

Rein war nach 1933 der Hauptakteur der Umgestaltung der Universität. Durch seine Vorstellungen zur Veränderung der Universität im nationalsozialsozialistischen Sinn hatte er sich bereits 1932 profiliert. Er verfolgte die Idee einer „Politischen Universität“, in der Wissenschaft politischen Prinzipien untergeordnet sein sollte.
Heft über die Universität Hamburg als Politische Universität im Sinne des dritten Reichs, Adolf Rein
Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Foto: Plessing/Scheiblich
Adolf Rein, Die Universität Hamburg als Politische Universität, 1935

Eine neue Fakultät?

Die 1933 gegründete „Politische Fachgemeinschaft der Fakultäten“ diente dazu, ein Lehrangebot für den politischen Unterricht bereitzustellen. Sie sollte künftig Fakultätsrang und damit auch eine eigene Dekanskette erhalten. Die Etablierung als neue Fakultät gelang nicht, daher blieb dieser Anhänger ein Entwurf.
Muster eines Dekanskettenanhängers für die Politische Fachgemeinschaft mit Hakenkreuz
Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Foto: Plessing/Scheiblich
Muster eines Dekanskettenanhängers für die „Politische Fachgemeinschaft“, Entwurf: Carl Otto Czeschka, 1936

Tradierte versus politische Symbolik

Die vier seit der Gründung der Universität bestehenden Fakultäten erhielten 1921 Dekansketten. Ihre Gestaltung folgte einer überlieferten, zum Teil bis in die Antike zurückreichenden Fachsymbolik. Der 1936 für die geplante politische Fakultät entworfene Anhänger zeigt hingegen das neue politische Symbol des Hakenkreuzes.
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Medizinische Fakultät
Universität Hamburg, Universitätsarchiv, Foto: Plessing/Scheiblich
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Entwurf: Carl Otto Czeschka, 1921
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Mathematische und Naturwissenschaftliche Fakultät
Universität Hamburg, Universitätsarchiv, Foto: Plessing/Scheiblich
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Entwurf: Carl Otto Czeschka, 1921
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Rechtswissenschaftliche Fakultät
Universität Hamburg, Universitätsarchiv, Foto: Plessing/Scheiblich
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Entwurf: Carl Otto Czeschka, 1921
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Philosophische Fakultät
Universität Hamburg, Universitätsarchiv, Foto: Plessing/Scheiblich
Anhänger der Dekansketten der Fakultäten, Entwurf: Carl Otto Czeschka, 1921

Anpassungsbereitschaft

Auch wenn 1933 nur wenige Professoren und Professorinnen der NSDAP angehörten, so stimmten doch viele wesentlichen Zielen des neuen Regimes zu. Sie erhofften sich einen „nationalen“ Aufschwung und die Überwindung der Weimarer Demokratie. Den neuen Verhältnissen passten sie sich rasch an und nahmen Entlassungen von Kollegen und Kolleginnen weitgehend hin.
In der Ausstellung: Feier in der Aula der Universität, 1. Mai 1933

Wegbereiter des Nationalsozialismus

An der Büste Albert Wigands hielten seine Anhänger während der NS-Zeit regelmäßig Trauerfeiern für den 1932 Verstorbenen ab. Der nationalsozialistisches Gedankengut verbreitende Meteorologe war 1931/32 Rektor der Universität. Seine Büste stand noch bis 2007 im Foyer des Hauptgebäudes, bis sie von Studierenden gestürzt wurde.
Albert Wigand, Büste von Hans Schmitt, 1932
Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Foto: Plessing/Scheiblich
Albert Wigand, Büste von Hans Schmitt, 1932

Ein Geschenk für die Universität

Die Hamburger Studentenschaft überreichte der Universität die Büste Albert Wigands bei der Feier der nationalen Arbeit am 1. Mai 1933. Wigand hatte die nationalsozialistischen Studierenden unterstützt. Überliefert ist seine Aussage, dass er „einem Krawall seiner Studenten mit wehenden Fahnen voranmarschieren würde“.
In der Ausstellung: Zeitungsartikel Hamburger Nachrichten, 26.4.1933, Faksimile

NS-Studentenführer fordert neue Universität

Wolff Heinrichsdorff war AStA-Vorsitzender und seit Ende April 1933 „Führer der Hamburger Studentenschaft“. In seiner Rede bei der Feier der nationalen Arbeit am 1. Mai 1933 attackiert er die traditionelle Universität und fordert deren radikalen Wandel zur politischen Hochschule sowie die Umsetzung nationalsozialistischer Ziele.
In der Ausstellung: Rede Wolff Heinrichsdorffs bei der „Feier der nationalen Arbeit“ am 1. Mai 1933 (nachgesprochen)
Brief der Hamburger Studentenschaft fordert nationalsozialistisches Bekenntnis, 1933
Universität Hamburg, Universitätsarchiv
NS-Studentenführer fordert neue Universität. Brief der Hamburger Studentenschaft an Herrn Professor Dr. Brauer, Hamburg 27.04.1933

Bekenntnis zum Nationalsozialismus

Die Universität bekannte sich am 1. Mai 1933 zur „nationalen Revolution“ und zu Adolf Hitler. Der Nationalsozialistische Studentenbund hatte den Extraordinarius Adolf Rein als Hauptredner der Veranstaltung erzwungen. Prorektor Ludolph Brauer blieb nur eine Statistenrolle.
In der Ausstellung: Programm für den Festakt am 1. Mai 1933, Faksimile
Bekenntnis zum Nationalsozialismus von Prorektors Professor Dr. Brauer
Staatsarchiv A.170.8.15, S.33-35
Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Redemanuskript des Prorektors Professor Dr. Brauer. Staatsarchiv A.170.8.15, S.33-35

Die „Hamburger Weisse Rose“

In Opposition zum NS-Regime fanden sich Anfang der 1940er Jahre überwiegend junge Hamburger in informellen Kreisen zusammen. Zu ihnen gehörten auch Studierende der Universität. 1943/44 festgenommen, starben einige in der Haft, Hans Leipelt wurde hingerichtet. Als „Hamburger Weiße Rose“ wurden sie erst durch die Geschichtsschreibung bezeichnet.
In der Ausstellung: Matrikelkarten von Studierenden der „Hamburger Weißen Rose“
Flugblatt gegen Nationalsozialismus der Weißen Rose
Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte
Flugblatt der „Weißen Rose“, der studentischen Widerständler aus München. Das Flugblatt kursierte auch in Hamburg.
Dokument zum Strafverfahren gegen den Student Hans Leipelt
Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte
Der Hamburger Student Hans Leipelt wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Aus: Angela Bottin, Enge Zeit, 1991