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Sex & Gender

Sex & Gender

Biologisches Geschlecht (Sex) und soziales Geschlecht (Gender) bilden verschiedene Dimensionen der geschlechtlichen Identität eines Menschen. Die allmähliche gesellschaftliche Öffnung spiegelt sich auch in der Entwicklung der Gleichstellungsarbeit wider. Was als Frauenförderung begann, umfasst heute die drei Säulen Geschlechtergerechtigkeit (Gender), Diversität (Diversity) und Vereinbarkeit (Familie).

Am Universitätsklinikum Eppendorf bietet das interdisziplinäre Transgender-Centrum eine deutschlandweit einmalige ganzheitliche Versorgung, wenn sich Menschen in diesem Zusammenhang eine Behandlung wünschen. Seine zentrale Spezialambulanz arbeitet am traditionsreichen Institut für Sexualforschung der medizinischen Fakultät: Hier gelang es Hans Giese in den 1960er Jahren die Sexualwissenschaft als akademische Disziplin zu etablieren.

Neue Blicke auf Sexualität

Ab 1959 leitete Hans Giese in Hamburg das von ihm begründete, einzige deutsche Institut für Sexualforschung. Daneben trat der Psychiater und Sexualwissenschaftler entschieden für sexuelle Aufklärung und Toleranz innerhalb der sich gerade liberalisierenden Gesellschaft ein: als Gutachter vor Gericht und für die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sowie als wissenschaftlicher Ansprechpartner für die Medien. Auch das heutige Institut und seine Spezialambulanz für Sexuelle Gesundheit und Transgender- Versorgung in der Medizinischen Fakultät arbeiten durch ihre Forschungsansätze und Behandlungsangebote für die gesellschaftliche Akzeptanz sexueller Vielfalt.

Gleichstellung: Von der Frauen- zur Geschlechterforschung

Angestoßen durch die neue Frauenbewegung in den 1970er Jahren etablierten sich ab Mitte der 1980er Jahre an der Hamburger Universität Frauenförderrichtlinien und -programme, die inzwischen als Gleichstellungspläne fest etabliert sind. Zwischen 1993 und 2018 hat sich so der Frauenanteil an den Professuren mehr als verfünffacht (von 6 % auf 31 %). 2018 wurden erstmals insgesamt mehr Frauen als Männer berufen. Durch den Einsatz engagierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden Interessen der Frauen- und später auch der Geschlechterforschung zu regulären Fragestellungen vieler Fächer.

„Erschrecken Sie nicht ...“

Unter den 280 Fragen zur eigenen Sexualität waren auch solche zu Homosexualität oder Sadomasochismus, weshalb Hans Giese 1966 eine Vorwarnung der angeschriebenen Studierenden für angezeigt hielt. Erhebungen zur studentischen Sexualität werden seither in Hamburg etwa alle 15 Jahre durchgeführt. Ziel ist die Erforschung des gesellschaftlichen Wandels, der sich auch schon in den Fragestellungen widerspiegelt.
In der Ausstellung: Anschreiben und Fragebogen des Instituts für Sexualforschung an der Universität Hamburg, 1966, Gunter Schmidt Lochkarte zur Auswertung des Fragebogens, 1966 „Studentische Sexualität im Wandel“, Fragebogen, 2012

„Uni-Report“

Die Hamburger Studie orientierte sich an den rund 20 Jahre zuvor erschienenen Kinsey-Reports zum sexuellen Verhalten von Mann und Frau. Die Interviewstudie „Gesundheit und Sexualität in Deutschland“ von 2019 knüpft an den Beginn der quantitativen sexualwissenschaftlichen Forschung unter Giese an und nimmt erstmals in Deutschland die gesamte Bevölkerung in den Blick.
Buch von Hans Giese über die Sexualität der Studenten von 1968
Universität Hamburg, Foto: Plessing/Scheiblich
Hans Giese, Gunter Schmidt: Studentensexualität. Verhalten und Einstellung, 1968

Hans Gieses (1920 – 1970) letztes Interview

Zum Gespräch über Definition und Wirkung von Pornografie traf man sich im Institut für Sexualforschung. Bis dahin lediglich an die Psychiatrische Klinik des Universitätskrankenhauses assoziiert, sollte es zukünftig institutionell in die Hochschule integriert werden. Umgesetzt wurde dieser langgehegte Wunsch Gieses erst nach seinem Tod.
In der Ausstellung: Der Spiegel, 24. Jahrgang, Nr. 32, 3.8.1970 Universität Hamburg Hans Giese (Mitte) und seine Mitarbeiter Gunter Schmidt (3. v. l.) und Volkmar Sigusch (2. v. r.) im Gespräch mit drei Spiegel-Mitarbeitern, 1970

Anstössig oder Sexualpädagogisch wertvoll?

Hans Giese vertrat Letzteres, als die Redaktion der liberalen Jugendzeitschrift „Twen“ ihn 1969 um ein Gutachten für ihre Januar-Ausgabe bat. Der Sexualwissenschaftler wurde nicht nur von Verlagen, sondern auch vom erotischen Versandhandel als Gutachter angefragt.
Antrag eines Bundesministers die Zeitschrift twen als jugendgefährdende Schrift aufzunehmen, 1969. Seite 1
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Brief des Bundesministers für Familie und Jugend an die Bundesprüfungstelle für jugendgefährdende Schriften. Es handelt sich dabei um den Antrag auf Aufnahme einer Druckschrift ("twen" vom 01.01.1969) in die Liste der jugendgefährdenden Schriften.
Antrag eines Bundesministers die Zeitschrift twen als jugendgefährdende Schrift aufzunehmen, 1969. Seite 2
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Brief des Bundesministers für Familie und Jugend an die Bundesprüfungstelle für jugendgefährdende Schriften. Es handelt sich dabei um den Antrag auf Aufnahme einer Druckschrift ("twen" vom 01.01.1969) in die Liste der jugendgefährdenden Schriften.
Antrag eines Bundesministers die Zeitschrift twen als jugendgefährdende Schrift aufzunehmen, 1969. Seite 3
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Brief des Bundesministers für Familie und Jugend an die Bundesprüfungstelle für jugendgefährdende Schriften. Es handelt sich dabei um den Antrag auf Aufnahme einer Druckschrift ("twen" vom 01.01.1969) in die Liste der jugendgefährdenden Schriften.
Antrag eines Bundesministers die Zeitschrift twen als jugendgefährdende Schrift aufzunehmen, 1969. Seite 4.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Brief des Bundesministers für Familie und Jugend an die Bundesprüfungstelle für jugendgefährdende Schriften. Es handelt sich dabei um den Antrag auf Aufnahme einer Druckschrift ("twen" vom 01.01.1969) in die Liste der jugendgefährdenden Schriften.
Stellungnahme von Hans Giese, in der er die Jugendgefährdung von twen zürückweist.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. Hans Giese über den Sachverhalt der Jugendgefährdung der "twen" vom 01.01.1969.
Hans Giese bewertet einen Bericht in der twen über Beate Uhse als sozialpädagogisch positiv. Stellungnahme, 1969.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. Hans Giese über den Sachverhalt der Jugendgefährdung der "twen" vom 01.01.1969.
Hans Giese bewertet die Zeitschrift twen als kleinbürgerlich.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. Hans Giese über den Sachverhalt der Jugendgefährdung der "twen" vom 01.01.1969.
Anschreiben für einen Fragebogen vom Institut für Sexualforschung, 1966.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Fragebogen des Instituts für Sexualfoschung an der Universität Hamburg für eine wissenschaftliche Untersuchung der Sexualität von Studenten, 1966.
Fragebogen Institut für Sexualforschung, Seite 2.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Fragebogen des Instituts für Sexualfoschung an der Universität Hamburg für eine wissenschaftliche Untersuchung der Sexualität von Studenten.
Fragebogen Institut für Sexualforschung, Seite 3.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Fragebogen des Instituts für Sexualfoschung an der Universität Hamburg für eine wissenschaftliche Untersuchung der Sexualität von Studenten.
Fragebogen Institut für Sexualforschung, Seite 4.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Fragebogen des Instituts für Sexualfoschung an der Universität Hamburg für eine wissenschaftliche Untersuchung der Sexualität von Studenten.
Fragebogen Institut für Sexualforschung, Seite 5.
Universität Hamburg, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Sexualforschung
Fragebogen des Instituts für Sexualfoschung an der Universität Hamburg für eine wissenschaftliche Untersuchung der Sexualität von Studenten.

Zwischen Aufklärung und Kommerz

Während der sogenannten Sex-Welle ab Mitte der 1960er Jahre, arbeitete Giese eng mit Presse, Funk und Fernsehen zusammen, um eine wissenschaftlich fundierte Aufklärung der Gesellschaft zu erreichen. Als er Ende 1968 den Eindruck gewann, sein für Seriosität stehender Name werde mehr und mehr zu Vermarktungszwecken missbraucht, zog er sich zurück.
In der Ausstellung: Neue Revue, Nr. 37, 10.9.1967

Frau oder Mann?

Eine Studie am Institut für Sexualforschung fand über 30 Jahre zurückliegende Ergebnisse amerikanischer Forscherinnen erneut bestätigt: Für die Zuordnung Frau oder Mann spielen die Genitalien und insbesondere der Penis die größte Rolle. Er ist schwerer zu ignorieren als die Vulva: Figuren mit Penis werden fast immer als männlich identifiziert.
Verschiedene Kombinationen typisch weiblicher und typisch männlicher Merkmale aus: F. Wenzlaff, P. Briken, A. Dekker: If there’s a penis, it’s most likely a man.
in: PLoS ONE 13(3), 2018 (e0193616)
Verschiedene Kombinationen typisch weiblicher und typisch männlicher Merkmale aus: F. Wenzlaff, P. Briken, A. Dekker: If there’s a penis, it’s most likely a man.

Hilfreiches Zusammenspiel

Die Spezialambulanz für Sexuelle Gesundheit und Transgender-Versorgung bietet psychotherapeutische und medizinische Hilfe, etwa bei sexuellen Funktionsstörungen oder ungewöhnlichen sexuellen Neigungen. Überdies betreut sie Trans-Menschen, die sich eine Behandlung wünschen, und vermittelt die ganzheitliche Gesundheitsversorgung des Transgender-Centrums.
In der Ausstellung: UKE-Broschüre zum Interdisziplinären Transgender Versorgungscentrum Hamburg, 2019

Geschlechtsangleichung

Transmenschen erleben das Geschlecht, das ihnen von Geburt an zugewiesen wird, als nicht stimmig. Sofern gewünscht, helfen Implantate die äußere Erscheinung dem inneren Empfinden anzupassen. Bei einer Transfrau wird eine Höhle geformt und mit Penisschafthaut ausgekleidet, die Eichel wird zur Klitoris, die Haut des Hodensacks zu Schamlippen. Bei Transmännern hingegen werden die Schamlippen zum Hodensack. Ein Penis wird meist aus der Haut des Unterarms geformt, eine Pump-Prothese ermöglicht seine Versteifung. Solche einschneidenden Veränderungen stehen am Ende eines längeren Entscheidungsprozesses.
In der Ausstellung: Brustimplantate, Penis-Prothese

Mehr als Zwei Geschlechter

Das Institut für Sexualforschung bemüht sich im Geschlechterdiskurs um die Anerkennung größerer Diversität und verweist auf das komplexe Zusammenspiel von biologischen Voraussetzungen, der sozialen Rolle, dem eigenen Identitätsempfinden und der sexuellen Orientierung beim Entstehen der geschlechtlichen Identität.
Beispiele für Symbole geschlechtlicher Erscheinungsformen.
Noun Project Inc.
Beispiele für Symbole geschlechtlicher Erscheinungsformen

Geschlecht im Fokus der Wissenschaft

Die Bildung einer hochschulübergreifenden Gemeinsamen Kommission für Frauenstudien und Frauenforschung in Hamburg war vor über 30 Jahren bundesweit einzigartig. Die von ihr herausgegebenen Frauenvorlesungsverzeichnisse bündelten zunächst frauenspezifische Lehrveranstaltungen, später auch solche zu Geschlechterforschung, Gender und Queer Studies.
Erstes und letztes gedrucktes Frauenvorlesungsverzeichnis, aus dem Wintersemester 1984/85 und dem Wintersemester 2004/05.
Universität Hamburg, Universitätsarchiv und Zentrum GenderWissen, Foto: Plessing/Scheiblich
Erstes und letztes gedrucktes Frauenvorlesungsverzeichnis, WS 1984/85 und WS 2004/05

20 Jahre Hamburger Frauen- und Geschlechterforschung

Die Koordinationsstelle (heute: Zentrum GenderWissen) der Gemeinsamen Kommission für Frauenstudien und Frauenforschung organisierte auch die Frauenstudien Hamburg – eine fünfsemestrige Weiterbildung für Frauen nach der Familienphase. Zum Jubiläum schickten ehemalige Teilnehmerinnen ein individuelles Stoffquadrat, aus dem später ein Quilt entstand.
Album mit Grüßen von Teilnehmerinnen der Frauenstudien Hamburg, 2004.
Universität Hamburg, Zentrum GenderWissen, Foto: Plessing/Scheiblich
Album mit Grüßen von Teilnehmerinnen der Frauenstudien Hamburg, 2004

„Wie gehen Frauen mit Sprache um, ...“

„... und wie geht die Sprache mit Frauen um?“ Diese Fragestellungen unterzog die Hamburger Professorin Schmidt-Knaebel in ihrem Vortrag einer differenzierten Analyse. Sie betonte, wie wichtig es ist, „daß wir Frauen den Ausdruck unseres beruflichen Selbstbewußtseins sprachlich mit unserem Weiblich-Sein in Einklang zu bringen vermögen“.
In der Ausstellung: Susanne Schmidt-Knaebel, Frauen und Sprache, Oldenburger Universitätsrede Nr. 23, 1988

Sprachgerechtigkeit

Zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern verwendete die Autorin dieser Arbeit bei der Niederschrift ihrer Ergebnisse das Binnen-I. Damals eine Maßnahme, die die Unterstützung der Vizepräsidentin erforderte. Heute rät die Stabsstelle Gleichstellung vom Binnen-I ab und zu Schreibweisen, die die Gleichberechtigung aller Geschlechter gewährleisten.
Frauen in der betrieblichen Weiterbildung. Eine Befragung Hamburger Unternehmen. Erste Magistraarbeit.
Universität Hamburg, Foto: Richard Ohme
Helgard Anders, Frauen in der betrieblichen Weiterbildung. Eine Befragung Hamburger Unternehmen, Magistraarbeit, 1989; Aufnahmegerät und Kassetten mit Interviews, 1988/89

Vom Magister zur Magistra

Im Zuge der ersten Frauenförderrichtlinie der Hamburger Universität 1985 sollten Frauen auch in der Sprache sichtbarer werden, etwa durch die Einführung eines frauenspezifischen Magistratitels. Vier Jahre später war eine Urkunde wie diese jedoch immer noch nicht selbstverständlich, denn die Umsetzung oblag den einzelnen Fachbereichen
In der Ausstellung: Urkunde der Universität Hamburg zur Verleihung des Titels Magistra artium, 1989

Ungleiches Bild

1984 bekam die Hamburger Universität ihre erste Vizepräsidentin, gut 20 Jahre später folgte die erste Präsidentin. Nur langsam schlagen sich die in den 1980er Jahren einsetzenden Förderprogramme in einem höheren Anteil von Frauen an den Professuren nieder. Ganz anders bei den Studierenden: Hier gibt es seit 1999 kontinuierlich mehr Frauen als Männer.
In der Ausstellung: Entwicklung der Geschlechterverhältnisse bei Studierenden und Professuren seit 1919